Eine leise und doch gewaltige Geschichte über Abschiede – von Menschen, Vorstellungen und Gewohnheiten – und das Sich-Selbst-Finden.
Ein Anruf zerschneidet Hebes Leben in „ein Davor und ein Danach“. Es ist die Nachricht über den Tod ihres Bruders, die ihre Welt aus den Angeln hebt. Er ist Freitaucher und ständig unterwegs. Den immer präsenten Abschied feiern die beiden Geschwister wie ein Fest, exzessiv. „Statt das Pflaster abzureißen, lösen wir es schmerzhaft Millimeter für Millimeter von der Haut.“ Bei jeder seiner Abreisen hatte ihr Bruder Hebe eine Botschaft hinterlassen. Diesemal ist es ein Rästsel in Form eines Haikus. Die Nachricht der ersten Zeile ist Hebe schnell klar. Sie soll nach Japan fliegen, in ihr gemeinsam „geliebtes Fantasieland“. Diese Reise ist ihre erste Reise alleine und stellt sie vor ganz neue Herausforderungen. Sie macht sich auf die Suche nach der Wahrheit, die sie tief im Herzen schon kennt.
Diese wunderbares Buch, das sich mit jedem Satz weiter entfaltet, hinterlässt bei mir sicher auch wegen den tief emotionalen Abschnitten bleibenden Eindruck. Es ist eine wunderbare Coming-Age-Geschichte mit so vielen wertvollen Gedanken über das Leben, das Am-Leben-sein-Wollen, die Trauer und den Tod. Japan und die japanische Kultur werden sehr genau beschrieben, sodass es nicht nur für Japankenner interessant ist. Allein die kulinarischen Erlebnisse lassen dem Leser das Wasser im Mund zusammen laufen.
Kurzmeinung: Für Geschwister, für Japanfans, für Reiselustige, für Alleinreisende, für Hinterbliebene, für Coming-Ager und alle anderen Buchliebhaber…Eine Geschichte, die unter die Haut geht!
„Schattenbruder“ von Iris Hannema, aus dem Niederländischen übersetzt von Rolf Erdorf, 332 S., erschienen 2021 beim Verlag Freies Geistesleben, ISBN 978-3-7725-3111-8