„Klara vergessen“ von Isabelle Autissier

Eine familiäre Spurensuche, die nach und nach entfaltet, wie sich ein Ereignis auf die gesamte Familie auswirkt. Eine psychologisch spannende Darstellung, die uns hilft die Menschen Russlands mit der historischen Einordnung zu verstehen (Achtung! Ich spreche nicht von Sympathie) und das in einem spannenden Roman.

Juri lebt seit Jahren in den USA und ist angesehener Ornithologe. Plötzlich bekommt er eine Email, die ihm verkündet, dass sein Vater in Murmansk im Sterben liegt und ihn unbedingt noch einmal sehen möchte. Doch statt Trauer breit sich in Juri Wut und Entrüstung aus. Und auch ein innerer Sog nach vielen Jahren zurückzukehren, an einen Ort, den er geschworen hat nie wieder zu betreten. Doch wer Reue am Sterbebett erwartet, liegt ganz falsch. Juris Vater Rubin hat eine letzte Forderung an seinen Sohn. Er soll herausfinden, was mit seiner Mutter Klara, Juris Großmutter geschehen ist. Sie war eine angesehenen Wissenschaftlerin, die von Stalin und seiner Partei verschleppt wurde, wie so viele andere Menschen zu der Zeit.

Klara ist der rote Faden des Romans, doch es ist viel mehr als eine Suche nach einer Frau. Wir bekommen Einblick in Juris Kindheit und verstehen seinen Hass auf seinen Vater. Doch dann entführt uns die Autorin in die Kindheit von Rubin und plötzlich bröckelt unsere Empörung und die Verbrüderung mit Juri gegen seinen Vater Rubin. Doch was ist mit Klara? Ist sie dann die Schuldige, die mit ihren Handlungen ihre Familie ruiniert hat oder ist sie doch nur ein Rädchen im Schicksal dieser Welt.

Isabelle Autissier schreibt mit diesem Buch eine berührende Geschichte voller einsamer Menschen, die irgendwie überleben. Sie schafft es auch bis zum Schluss den Spannungsbogen zu halten, obwohl es so viele Abzweigungen gibt. Ein großer Highlight sind für mich die Naturbeschreibung der besonderen Natur im kargen Norden Russlands. Ich hab auch nach Wochen immer noch innere, lebendige Bilder zum Roman und der Gegend, in der ich niemals gewesen bin.

Und dann bleiben einem noch die moralischen Fragen, die die Autorin stellt. Wie weit darf ich als Mensch gehen, um zu überleben. Das ist für mich die zentrale Frage. Die Autorin schafft es, dass man die Gewissheit über die eigenen, moralisch einwandfreien Entscheidungen über Bord wirft und anfängt zu verstehen, dass der Überlebenswille ein Instinkt ist.

„Klara vergessen“ von Isabelle Autissier, aus dem Französischen von Kirsten Gleinig, Originalverlag: mare, als Taschenbuch erschienen mit 352 S. bei Goldmann im Penguin Random House Verlag
ISBN 978-3-442-49178-0

Übrigens fand ich schon das erste Buch der Autorin „Herz auf Eis“ großartig und rezensiere es Euch in den kommenden Tagen hier.

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